Prof. Dr. Roland Wielen

Sonstiges: Zeitungsartikel "Im Profil"



Artikel in der Rhein-Neckar-Zeitung (RNZ), Heidelberg,
vom Mittwoch/Donnerstag, 10./11. Juni 1998 ( Nr. 131 / 1998), Seite 16,
UniversitaS, Heidelberger Geistesleben:

[Einige Druckfehler korrigiert.]


IM PROFIL

Wie bewegen sich die Sterne?

Prof. Roland Wielen:      Astronomisches Rechen-Institut


Vorspann:

Roland Wielen (geboren 1938 in Berlin) studierte zunächst Physik an der Freien Universität Berlin (Diplom 1962) und dann Astronomie in Heidelberg (Promotion 1966, Habilitation 1969). Von 1963 bis 1978 war er als Astronom am Astronomischen Rechen-Institut Heidelberg tätig. In diese Zeit fallen auch Auslandsaufenthalte (z.B. 1972 an der Sternwarte Nizza) und 1974/75 eine Lehrstuhlvertretung an der Universität Hamburg. 1978 nahm er einen Ruf nach Berlin auf den Lehrstuhl für Astrophysik an und leitete dort das Institut für Astronomie und Astrophysik der Technischen Universität, das auch für die Lehre an der Freien Universität zuständig ist. 1985 folgte er dem Ruf auf den Lehrstuhl für Theoretische Astronomie der Universität Heidelberg und wurde zugleich Direktor des Astronomischen Rechen-Instituts. Das Astronomische Rechen-Institut ist eine selbständige Forschungseinrichtung des Landes Baden-Württemberg. Das Institut arbeitet aber eng mit der Universität zusammen.


Wie und wann kam es zu Ihrem Wunsch, Wissenschaftler zu werden?

Bereits als Kind war mein Berufswunsch "Forscher". Vermutlich stellte ich mir darunter so etwas wie einen Entdeckungsreisenden vor. Der Einwand meiner Großmutter, es sei nach ihrer Meinung bereits alles erforscht, hat mich offensichtlich nicht entmutigt. Im Ernst: Mein Interesse an der Astronomie als Wissenschaft ist schon lange vor dem Abitur geweckt worden, vor allem durch sehr gute populär-wissenschaftliche Bücher und durch die aktive Mitarbeit in einer Volkssternwarte. Als ich mit dem Studium begann, blieb es mein Wunschtraum, Astronom zu werden, obwohl damals die Zahl der verfügbaren Stellen außerordentlich gering war. Warum gerade Astronomie? Für mich verkörpert die Astronomie (zusammen mit der Physik und Mathematik) am stärksten die Suche nach den allgemein gültigen "Wahrheiten" in unserer Welt. Vielleicht hat auch die zeitliche Situation meiner Jugend, nämlich die turbulente Nachkriegszeit in Berlin mit ihrer Aufeinanderfolge und Konfrontation verschiedener Weltanschauungen, mir eher den Weg zur "allgemein gültigen" Astronomie als zu anderen, strittigeren, "irdischeren" Wissenschaften gewiesen. Auch heute erscheint mir die Astronomie immer noch als einer der interessantesten Zweige der Grundlagenforschung. Bestätigt sehe ich mich darin durch die große Resonanz, die astronomische Themen allgemein finden.


Was waren die wichtigsten Stationen Ihres beruflichen Werdegangs?

Meinen akademischen Lehrern in Berlin und Heidelberg habe ich sehr viel zu verdanken, aber zusätzlich bin ich als Student durch zwei Umstände besonders geprägt worden: In Berlin gab es zur Zeit meines Studiums kein astronomisches Institut, und der Betreuer meiner Diplomarbeit in Physik (mit astronomischer Thematik aus dem Bereich der Kosmologie) wanderte kurz nach der Vergabe der Arbeit in die USA aus. Ich mußte daher weitgehend auf mich selbst gestellt das wissenschaftliche Arbeiten lernen. Diesen scheinbaren Nachteil habe ich später immer als Vorteil empfunden, weil dadurch die für einen Wissenschaftler so wichtige Eigeninitiative viel besser angeregt wurde als durch eine intensive Betreuung. Bereits als junger Student konnte ich noch neben meiner Diplomarbeit selbständig eine Forschungsarbeit über die Bahnbestimmung von Doppelsternen unter Einsatz der damals noch völlig neuen elektronischen Rechenanlagen durchführen. Diese Arbeit brachte mich in einen langjährigen und intensiven wissenschaftlichen Briefwechsel mit einem bereits weltweit legendären Astronomen, dem Dänen Ejnar Hertzsprung. Die außerordentlich freundliche Zuwendung und Zustimmung, die dieser allseits hochgeachtete Astronom mir als studentischem Anfänger entgegenbrachte, hat mich ungeheuer ermutigt. Mein weiterer beruflicher Werdegang war dann weitgehend "geradlinig". Besonders dankbar war ich 1978 für die Berufung in meine alte Heimatstadt auf den Lehrstuhl für Astrophysik an der Technischen Universität Berlin. Aber auch dem nachfolgenden Ruf 1985 an die Universität Heidelberg bin ich gerne gefolgt, auch weil ich ja das Astronomische Rechen-Institut bereits gut kannte.


Wo liegen derzeit die Schwerpunkte Ihrer Tätigkeit ?

Meine Hauptarbeitsgebiete in der Forschung sind die Stellardynamik und die Astrometrie. In beiden Gebieten steht die Frage nach den Bewegungen der Sterne im Vordergrund. In der Stellardynamik befasse ich mich mit sonnennahen Sternen, Sternhaufen, unserer Milchstraße, anderen Galaxien und mit der Bildung von Galaxienhaufen im expandierenden Universum. Als ein Beispiel für ein Resultat solcher Arbeiten sei die Bestimmung des Geburtsortes der Sonne aufgeführt: Aus den Bewegungen und den chemischen Zusammensetzungen von Sternen einschließlich der Sonne haben meine Mitarbeiter und ich ermittelt, daß der Entstehungsort der Sonne viel näher am galaktischen Zentrum lag als der heutige Ort der Sonne. In der Astrometrie ist es unser Ziel, möglichst genaue Positionen, Eigenbewegungen und Entfernungen (Parallaxen) von Sternen zu bestimmen. Seit über 20 Jahren steht dabei die Mitarbeit an der Vorbereitung, Durchführung und Auswertung der erfolgreichen astrometrischen Satellitenmission HIPPARCOS der europäischen Raumfahrtbehörde ESA im Mittelpunkt. Zur Zeit bestimmen wir durch Kombination der Satellitendaten mit bodengebundenen Beobachtungen die Eigenbewegungen von hellen Sternen mit der zur Zeit höchstmöglichen Genauigkeit. Ein weiterer Schwerpunkt ist die spezielle Untersuchung von Doppelsternen. Die genauen HIPPARCOS-Daten sind auch die beobachtungsmäßige Grundlage für stellardynamische Untersuchungen zur Rotation der Milchstraße und zu den individuellen Bewegungen von sonnennahen Sternen, Sternhaufen und wichtigen speziellen Sorten von Sternen (sogenannte Cepheiden und RR-Lyrae-Sterne), die wir am Institut ausführen. Zu meiner Forschungstätigkeit kommt natürlich die Lehre an der Universität und die Leitung des Instituts mit seinen über 50 Mitarbeitern hinzu.


Durch welche Maßnahmen könnte Ihre Arbeitssituation verbessert werden?

Bis vor kurzem waren die Arbeitsbedingungen am Institut hervorragend. In den letzten Jahren sind dann finanzielle Kürzungen eingetreten, die die Arbeit des Instituts erheblich behindern. Dabei ist vor allem zu beklagen, daß das Institut praktisch keinen Einfluß darauf hat, wie und wo gekürzt wird. Ein Ausgleich zwischen Personal- und Sachmitteln ist de facto immer noch nicht möglich. Die viel diskutierte "Globalisierung" der Haushaltsmittel könnte dem Institut Erleichterung verschaffen. Ferner müßte für mehr junge Wissenschaftler eine über fünf Jahre hinausgehende Beschäftigung möglich sein.


Welche Ziele verfolgen Sie mit Ihrem wissenschaftlichen Engagement?

Ziel meiner Arbeit ist es, unser Wissen über das Weltall zu vergrößern. Das Motiv der astronomischen Forschung ist primär reiner Erkenntnisgewinn. Wenn sich dabei zusätzlich auch praktisch verwertbare Resultate ergeben, ist dies eine erfreuliche "Zugabe". Als solche allgemein verständliche Anwendung möchte ich erwähnen, daß das Astronomische Rechen-Institut traditionell die astronomischen Grundlagen für den Kalender in Deutschland berechnet. In den meisten Kalendern stammen daher zum Beispiel die angegebenen Auf- und Untergangszeiten von Sonne und Mond aus der entsprechenden Institutsveröffentlichung. Insofern hat fast jeder Kalenderbenutzer in Deutschland sogar einen direkten Nutzen von der Arbeit des Astronomischen Rechen-Instituts.


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Letzte Änderung: 12.12.1998

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